Wir sind da Ö Österreich
Eine Mitarbeiterin des IFRC reicht einer Frau mit einem Kind auf ihrem Arm einen Becher Wasser

Afghanistan: Hilfe für selbstbestimmtes Leben

Seit 2022 engagiert sich das Österreichische Rote Kreuz mit eigenen Projekten in Afghanistan.  Im Mittelpunkt stehen Ausbildungsprogramme für Frauen und mobile Gesundheitsteams. Ein Besuch in Afghanistan zeigt, wie nachhaltige Hilfe das Leben vieler Menschen verändert.

Es ist eine kleine, eigentlich ganz alltägliche Szene, die Christopher Bachtrog mit immenser Freude, Stolz und Zuversicht erfüllt: Eine Gruppe von Frauen arbeitet entspannt vor sich, sie löten und schrauben Komponenten für Leuchtmittel zusammen. Fröhliches Stimmengewirr durchströmt den Raum in einem schmucklosen Hinterhof in Herat, der zweitgrößten Stadt Afghanistans. „Man hat gesehen, wie viel Freude ihnen die Aufgabe macht.“

Christopher Bachtrog besucht den Kleinbetrieb in seiner Funktion als Koordinator für internationale Katastrophen und Krisen des Österreichischen Roten Kreuzes: „Wir unterstützen in Afghanistan seit 2022 Programme, mit denen die Lebensgrundlage von Frauen gestärkt werden soll. Mit Erfolg! Die Arbeiterinnen, die wir hier getroffen haben, waren nämlich gar nicht direkt Teil unseres Projekts. Aber die von uns ausgebildeten Frauen haben mittlerweile so viele Aufträge, dass sie in Eigeninitiative und mit dem Afghanischen Roten Halbmond bereits Mitarbeiterinnen einschulen und einstellen. Ein schöneres Lob kann es für uns gar nicht geben.“

"Ein echtes Leuchtturmprojekt"

Seit mehr als 40 Jahren engagiert sich das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Afghanistan. Es unterstützt die Bevölkerung angesichts der Folgen bewaffneter Konflikte und auch wiederkehrender Naturkatastrophen, etwa dem schweren Erdbeben 2023 und der verheerenden Überschwemmungen 2024.

2022 hat das Österreichische Rote Kreuz erstmals selbst ein bilaterales Programm im zentralasiatischen Emirat gestartet. Und zwar in Partnerschaft mit dem Dänischen Roten Kreuz und finanziert mit Mitteln der Austrian Development Agency (ADA), also der Agentur der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, wie Christopher Bachtrog erklärt: „Wir kooperieren natürlich mit dem Afghanischen Roten Halbmond. All unsere Projekte entstehen in enger Absprache; als unsere lokalen Partner wissen sie, was möglich ist und was nicht.“

Die Zusammenarbeit ist von großem Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung getragen. „Sie erklären uns, wo unsere Hilfe in kleineren, lokalen Projekten für sie am besten und effektivsten wäre“, sagt Christopher Bachtrog, „Und wir schlagen vor, wohin die Reise gehen kann, aber sie sind am Ruder. Sie implementieren unsere Ideen, sagen uns aber auch, wenn Kurskorrekturen notwendig sind.“

Frauen geben Wissen weiter

Eine Gruppe Frauen arbeitet mit Elektronikteilen

Konkret unterstützt das Österreichische Rote Kreuz Berufsbildungsprogramme für Frauen: „Das ist mittlerweile ein echtes Leuchtturmprojekt für uns geworden“, sagt Christopher Bachtrog. In sechsmonatigen Kursen und Workshops bekommen Frauen nicht nur eine grundlegende handwerkliche Ausbildung in unterschiedlichen Berufen, sondern auch das notwendige wirtschaftliche Rüstzeug: „Sie sollen in der Lage sein, sich einen eigenen Kleinbetrieb aufbauen zu können und damit sich und bei Bedarf ihre Familie zu ernähren.“

Möglich wird die Unterstützung dieser Frauen durch ein traditionsreiches Hilfsangebot, das vom Afghanischen Roten Halbmond bereits seit den 1960er-Jahren betreut wird. „Diese Einrichtungen heißen Marastoon, und es gibt sie seit den 1930er Jahren in ganz Afghanistan. Es sind Wohlfahrtszentren, in denen Menschen Unterschlupf finden, die von besonders großer Armut betroffen sind.“

Und das seien in Afghanistan nicht zuletzt sehr viele Frauen, sagt Christopher Bachtrog: „95 Prozent der Menschen, die in Marastoons betreut werden, sind Frauen. Und zwar alleinstehende Frauen genauso wie Frauen, deren Männer aus unterschiedlichen Gründen arbeitsunfähig sind und deshalb nicht zum Familieneinkommen beitragen können.“

Unterrichtet werden die Frauen dabei von freiwilligen Helferinnen des Roten Halbmondes: „Unsere Kolleginnen und Kollegen haben zu Beginn des Programms nach gut qualifizierten Frauen gesucht, die ihr Wissen weitergeben können. Das hat den Vorteil, dass wir kein externes Personal in die Communities hineinbringen, sondern die Frauen in gewohnter Umgebung von Frauen aus ihrem Bezirk ausgebildet werden können.

Investition in die Zukunft

Eine Gruppe Kursabsolventinnen präsentieren ihre Abschlusszeugnisse

Rund 200 Frauen konnten im Lauf der ersten Projektphase, die soeben zu Ende gegangen ist, unterstützt werden. Nach den positiven Erfahrungen werden die Berufsbildungsprogramme bis 2026 noch deutlich ausgebaut: „Jetzt sollen es mehr als 400 Frauen sein, die direkt von unserem Engagement profitieren.“

Die Auswahl an Berufen ist überraschend groß, erzählt Christopher Bachtrog: „Das hängt immer ein bisschen davon ab, welche Expertinnen wir als Ausbildnerinnen gewinnen können. Aber zuletzt haben wir Bäckereien aufgebaut, Keramikmanufakturen Nähereien, Stickereien – aber auch einen Kosmetikbetrieb und eine Glasbläserei.“

Der eingangs erwähnte Betrieb, in dem Frauen Lampen und Leuchtmittel herstellen, ist der erstaunlichste Beweis, wie gut das Programm angekommen ist: „Sie investieren ihren Gewinn immer weiter, um den Betrieb zu vergrößern, zuletzt haben sie eine neue Kreissäge und einen Kompressor angeschafft, um die große Nachfrage am Markt noch besser bedienen zu können.“

Grundversorgung in entlegenen Regionen

Eine Ärztin des Mobilen Gesundheitsteams im Gespräch mit einer Patientin

Die zweite Projektkomponente, bei der sich das Österreichische Rote Kreuz gemeinsam mit dem Dänischen Roten Kreuz und dem Afghanischen Roten Halbmond engagiert, sind mobile Gesundheitsteams. „Wir finanzieren zwei Fahrzeuge, die in den entlegensten Gebieten unterwegs sind, unter anderem an der Grenze zu Pakistan. Wir reden von Dörfern, die zwei, drei Autostunden vom nächsten größeren Ort entfernt sind und wo die Menschen sonst einfach keine medizinische Grundversorgung haben.“

Diese mobilen Gesundheitsteams bestehen jeweils aus einem Allgemeinmediziner, einer Hebamme, sowie einem Sozialarbeiter und einer Sozialarbeiterin, die sich um mentale Belange kümmern können. „Außerdem haben wir einen Immunologen dabei und auch eine Diätologin“, sagt Christopher Bachtrog. „Es ist schließlich ganz wichtig zu schauen, wie es mit dem Ernährungsstatus in diesen abgeschiedenen Regionen aussieht.“

Die Fahrzeuge drehen ihre Runden regelmäßig und kommen alle 14 Tage in die gleichen Dörfer, etwa in der nordafghanischen Provinz Ghor, die 2024 besonders stark von den Überschwemmungen betroffen war. „Ein Kollege hat mir von einem Gespräch mit einem etwa 60-jährigen Mann berichtet. Dieser Mann hat erzählt, dass er sich nicht erinnern kann, jemals in seinem Leben eine grundlegende Gesundheitsversorgung gehabt zu haben. Bevor das Rote Kreuz beziehungsweise der Rote Halbmond ihr Programm aufgenommen haben, mussten sich die Menschen mit Hausmitteln behelfen oder irgendwie den Weg zu stundenlang entfernten Gesundheitsposten finden.“

Rund 42 dieser mobilen Gesundheitsteams hat der Afghanische Rote Halbmond insgesamt im Einsatz, sagt Christopher Bachtrog. Und natürlich übernehmen diese medizinischen Teams bei Bedarf auch dringende Aufgaben: „Wir hatten 2023 eine Einheit in Herat. Nach dem Erdbeben haben wir sie kurzfristig von ihren Routineaufgaben entbunden und sie sind sofort zur Erste-Hilfe-Einheit im betroffenen Gebiet umfunktioniert worden.“

Wie die Welt wirklich funktioniert

Christopher Bachtrog redet mit IFRC-Mitarbeiter:innen

Der gebürtige Tiroler engagiert sich seit mehr als 15 Jahren im Bereich humanitärer Hilfe. Seit 2012 arbeitet der 42-jährige Wahl-Wiener für das Rote Kreuz und war unter anderem in Haiti, Griechenland, Uganda, Bangladesch, Nepal und der Ukraine im Einsatz: „Ich habe mich immer schon für internationale Zusammenhänge interessiert“, sagt Christopher Bachtrog. „Begonnen habe ich damit, volkswirtschaftliche Modelle zu berechnen. Ich habe aber rasch erkannt, dass ich damit praktisch nicht viel erreichen kann.“

Und so fokussierte sich Christopher Bachtrog aufs Thema WASH, also Trinkwasseraufbereitung, Sanitärversorgung und Hygiene-Aufklärung: „Grundsätzlich war mein Wunsch und Antrieb immer, zu reisen und andere Kulturen, Ereignisse und Zusammenhänge besser zu verstehen. Mit der Zeit ist allerdings der Sinn der Arbeit schon stärker in den Vordergrund getreten. Wenn ich es schaffe, in einer ohnehin schlimmen Situation nur ein bisschen dazu beizutragen, dass es für die Betroffenen nicht noch schlimmer wird, dann ist das schon viel.“ 

Die Lage spitzt sich zu

Aus einem LKW werden Hilfsgüter verladen

Als Koordinator für internationale Katastrophen und Krisen muss Christopher Bachtrog stets flexibel bleiben: „Es gibt Themen und Regionen, die durchgehend unsere Aufmerksamkeit brauchen. Aber wenn neue Katastrophen eintreten, wie etwa das Erdbeben Ende März in Myanmar, oder sich anhaltende Krisen kurzfristig verschlimmern, dann verschieben sich die Prioritäten natürlich.“

Nach seinem Besuch in Afghanistan beobachtet er die Situation in dem zentralasiatischen Binnenstaat mit noch größerer Aufmerksamkeit: „Seit ich mit eigenen Augen gesehen habe, was unsere Arbeit dort bewirken kann, liegt mir das Thema emotional noch stärker am Herzen.“ Und Christopher Bachtrog weiß bereits genau, dass ihn Afghanistan in den kommenden Wochen und Monaten stärker als je zuvor beschäftigen wird. „Derzeit werden alle Afghaninnen und Afghanen ohne Aufenthaltsgenehmigung aus dem angrenzenden Pakistan ausgewiesen. Das sind zwei Millionen Menschen. Es sind aber auch Familien betroffen, die sich legal im Land aufhalten und aus Angst vor einer Abschiebung flüchten.“

Der Afghanische Rote Halbmond betreut bereits tausende Menschen, die in Notquartieren im Grenzgebiet untergebracht werden: „Und täglich werden es mehr“, sagt Christopher Bachtrog. „Die Lage ist unglaublich herausfordernd und wird sich in den nächsten Wochen dramatisch zuspitzen. Natürlich stellen wir unser Know-how und ganz konkret unser mobiles Gesundheitsteam zur Verfügung.“  

Afghanistan: Einblicke vor Ort

2.6.2025

JETZT HELFEN!

Spendenzweck

Naher Osten

Wenn Du die Spende steuerlich absetzten möchtest, fülle bitte das Formular, das nach dem Spendenvorgang erscheint, aus!

Betrag

Bitte nur ganze Eurobeträge. Danke!
Euro

Newsletter

abonnieren - nichts verpassen

Sie sind hier: