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Frau Lessel mit einer Patientin
©Lessel

„Man kann viel machen, wenn man will“

Zwischen Migration und Pflege –
ein Expertinneninterview mit Jagoda Lessel

Jagoda Lessel ist ehemalige Pflegekraft, Physiotherapeutin und Vortragende mit langjähriger Berufserfahrung – heute ist sie in Pension, engagiert sich in diversen Projekten und ist künstlerisch tätig. In einem persönlichen Gespräch teilt sie ihre Erfahrungen als Pflegekraft mit Migrationshintergrund. Ihre Geschichte beginnt in einem kleinen Ort in Serbien und führt sie schließlich nach Wien, wo sie 1968 in den Pflegeberuf einsteigt.

Gleich zu Beginn unseres Gespräches macht Jagoda deutlich: „Ich hatte immer den Drang zu helfen.“ Aufgewachsen in einer Umgebung ohne Ärzt:innen oder Pflegepersonal entscheidet sie sich früh für eine Ausbildung in der Krankenpflege. Die Motivation zur Aufnahmeprüfung und zur vierjährigen Ausbildung entsteht nicht zuletzt durch ihre Mutter, die ihr vermittelt: Eine Frau soll unabhängig sein. „Die Krankenpflege hat etwas Besonderes gehabt, es war ein sehr geschätzter Beruf“, erinnert sich Jagoda.

Nach dem Abschluss zieht sie nach Wien. Ein politisches Abkommen ermöglicht es Pflegekräften aus dem damaligen Jugoslawien, in Österreich zu arbeiten. „Wien war etwas ganz Besonderes“, sagt sie – eine Haltung, die ihr Großonkel mitgeprägt hat. Er schwärmt von der fernen Stadt und überzeugt schließlich auch ihre Mutter, sie dort arbeiten zu lassen.

Frau Lessel in Uniform
©Lessel

Der Abschied fällt ihr schwer. Der Tag ihrer Abreise fällt auf einen wichtigen serbisch-orthodoxen Feiertag. Statt mit ihrer Familie zu feiern, fährt sie mit der Kutsche zum

Bahnhof und tritt die Reise in ein neues Leben an. Ihre Ankunft in Wien erlebt sie als gut organisiert: Gemeinsam mit anderen Pflegekräften wird sie abgeholt und in ihre Unterkunft gebracht. Das Gebäude war damals Teil des Universitätscampus und diente als Wohnquartier für Pflegepersonal. Heute ist es als ‚Narrenturm‘ bekannt und beherbergt ein Museum. Scherzend erzählt sie: ‚Heute würde man darüber lachen, aber ich hatte dort alles, was ich brauchte: ein Zimmer mit Schrank und Schreibtisch, ein Speisesaal … und ich hatte es nicht weit in die Arbeit.‘

Die Anfangszeit in Wien ist herausfordernd. „Ich konnte kein Wort Deutsch, dafür aber Französisch, so konnte ich mich mit manchen Ärzten verständigen.“ Sie besucht regelmäßig Deutschkurse und lernt die Sprache schnell.

Besonders in Erinnerung bleibt ihr die Offenheit ihrer Kolleg:innen. Jagoda erzählt von einem Erlebnis, dass sie bis heute lächeln lässt: „Früher musste ich immer allen (aus der Familie) Geschenke mitnehmen. Denn alles, was es in Wien gab, gab es zu Hause nicht. Es war etwas Besonderes und viel besser. Aber diese Geschenke haben Geld gekostet. Meine Oberschwester, eine ältere Dame, die bald in Pension ging, sieht mich am Gang und fragt mich, ob ich schon alle Geschenke für Familie hätte. Ich meinte ‚leider fehlt mir das Geld‘ – und sie borgte es mir einfach. Als ich zurückkam, habe ich es natürlich zurückgegeben und mich oft bedankt. Es hat menschlich gepasst, sonst wäre ich nicht geblieben.“

Im Laufe ihrer Karriere arbeitet Jagoda in mehreren Bereichen: Dermatologie, Kinderabteilung, später Kardiologie und Gynäkologie im Allgemeinen Krankenhaus. Sie fasst den Entschluss, Medizin zu studieren, und holt dafür die österreichische Matura nach. Zwar wird sie zum Studium zugelassen, merkt jedoch bald, dass es nicht der richtige Weg für sie ist. Stattdessen entscheidet sie sich für eine Ausbildung zur Physiotherapeutin, die sie innerhalb von zweieinhalb Jahren abschließt. In der Folge arbeitet sie in diversen Gesundheitseinrichtungen im intra- und extramuralen Bereich, hält Vorträge und übernimmt eine leitende Position in der Klinik für physikalische Medizin.

Frau Lessel bei der Arbeit
©Lessel

Ihren inspirierenden Werdegang nutzt sie, um auch anderen Menschen mit Migrationshintergrund Mut zu machen. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Roten Kreuz besucht sie als „Botschafterin der Integration“ im Zuge des „projektxchange“ verschiedene Schulen in Wien und tritt dort mit Kindern aus unterschiedlichen kulturellen Hintergründen in den Austausch. Im Unterricht berichtet sie von ihrem Lebensweg, beantwortet Fragen und bestärkt die Schüler:innen in ihrer Zukunftsperspektive.

Auf die Frage, ob sie Diskriminierung erlebt hat, betont Jagoda zunächst die vielen positiven Erfahrungen im Berufsalltag. Dennoch erinnert sie sich auch an Momente, in denen sie „Bemerkungen“ wahrnimmt. Es sei ihr immer wichtig gewesen, in der Öffentlichkeit – auch mit ihren Kindern – Deutsch zu sprechen. Ihre Haltung fasst sie so zusammen: „Es wird immer Leute geben, die Bemerkungen machen, aber grundsätzlich hatte ich eine gute Zusammenarbeit – ich bin auch offen und rede mit allen. Ich denke, es gab nicht so viele Vorurteile mir gegenüber, denn ich war hilfsbereit und die Arbeit hat mir gefallen.“

Jagoda spricht auch über die vielfältigen Beweggründe, warum Menschen nach Österreich kommen. Für manche sei es das bessere Gehalt, für andere die Lebensqualität oder die Chance, die eigene Familie zu unterstützen. Sie betont, dass es wichtig sei, realistisch zu bleiben und sich auch in der Teamsituation für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen: „Wenn es nicht stimmt, muss man es besprechen.“

Gegen Ende unseres Interviews fragen wir Jagoda, wie sie die Pflege von heute für Personen mit Migrationsgeschichte sieht. „Es ist schon viel passiert und die Personen aus der Pflege werden heute nochmal anders aufgenommen“, antwortet Jagoda. Trotz der positiven Entwicklungen betont sie dennoch: „Ich wünsche mir, dass man sich um die Pflegepersonen kümmert, dass man sie integriert.“ Viele gute Angebote seien bereits vorhanden – entscheidend sei es jedoch, diese auch richtig zu vermitteln: „Ich denke, es gibt diese Angebote, aber man muss es auch kommunizieren, dass die Pflegepersonen dieses Angebot kennen und nutzen können.“

Jagoda formuliert damit eine klare Botschaft: Pflegekräfte mit Migrationshintergrund brauchen vor allem gute Kommunikation – und das Verständnis, dass Integration nicht nur strukturelle, sondern auch persönliche Unterstützung voraussetzt. Der Austausch im Team, Wertschätzung und Sichtbarkeit seien Schlüsselfaktoren für ein funktionierendes Miteinander.

Zum Schluss richtet sich Jagoda direkt an jene, die – wie sie selbst – mit Migrationshintergrund in die Pflege kommen. Ihre Botschaft: „Ich würde mir wünschen, dass sie froh sind, dass sie eine gute Arbeit haben und dass sie diese Arbeit noch erweitern, indem sie lernen… Man kann viel machen, wenn man will.“

4.7.2025

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Zu meiner Malerei

Meine künstlerische Arbeit ist Ausdruck meiner tiefen Liebe zu Farben und meines Wunsches, kreativ zu gestalten. Im Zentrum steht der Mensch – seine Präsenz, seine Stimmung, seine Geschichte – die in Farbe und Form transformiert wird. Besonders in der Abstraktion finde ich die Freiheit, Emotionen und Energien sichtbar zu machen. Die menschliche Figur taucht immer wieder auf – als Ankerpunkt zwischen Figuration und abstrakter Komposition. In einem gestisch-intuitiven Prozess entstehen kraftvolle Bildwelten, die materielle Formwerdung, Lebenskraft und innere Bewegung verkörpern. Auch Schmerz, Verletzlichkeit und Heilung – Erfahrungen aus meinem früheren Beruf als Physiotherapeutin – fließen in meine Arbeit ein. Meine Gemälde spiegeln nicht nur meine Persönlichkeit wider, sondern laden die Betrachtenden ein, eigene Assoziationen zu entfalten. Zwischen Farben und Stille, Struktur und Offenheit entsteht ein Raum, in dem Kunst berühren und bereichern kann.
Jagoda Lessel

ein rot-dominiertes, abstraktes Acrylbild

Die Arbeitsuchenden, Acryl auf Leinwand

80x60 cm

©Lessel

ein rot-blaudominiertes, abstraktes Acrylbild

Ein neuer Weg, Acryl auf Leinwand

140x100 cm

©Lessel

ein rot-dominiertes, abstraktes Acrylbild

Ein neues Fenster öffnet sich, Acryl auf Leinwand

70x50 cm

©Lessel

Frau Lessel sitzt vor ihren Kunstwerken

Die Künstlerin vor einer Auswahl ihrer Werke

©Lessel

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