Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich freue mich sehr, Sie bei unserer 78. Hauptversammlung begrüßen zu dürfen. Wir wollen nun auf die Leistungen des vergangenen Jahres blicken. Es geht aber auch um die gegenwärtige Situation und jene Anliegen zu benennen, die für die Zukunft des Roten Kreuzes – aber auch für die Gesellschaft in Österreich – wichtig sind.
Zuvor jedoch möchte ich meiner Bestürzung über den Amoklauf in Graz Ausdruck geben. Ich denke, ich spreche für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Roten Kreuzes, wenn ich sage, dass uns diese unfassbare Bluttat zutiefst erschüttert – ich möchte an allen Familien, Angehörigen und Freunden der Opfer mein tiefempfundenes Beileid aussprechen.
Eines meiner 6 Enkelkinder hat hier erst vor zwei Jahren maturiert und ich erinnere mich an die wunderbare künstlerisch gestaltete Abschlussfeier in dieser Schule, die von Harmonie und Fröhlichkeit getragen war. Angesichts des Amoklaufes wird einem bewusst, wie fragil und verletzlich unsere scheinbar so fest verankerten Gewissheiten sind.
Dem Roten Kreuz als Einsatzorganisation ist der Tod nicht fremd, wir werden damit in unserer täglichen Arbeit stets aufs Neue konfrontiert.
Ich möchte Sie daher zu einer Minute der Stille auffordern, in der wir an die Opfer des Amoklaufs denken. Wir denken aber auch an alle humanitären Helfer und Helferinnen, viele davon auch von unserer Rotkreuz-Bewegung, die weltweit im vergangenen Jahr im Einsatz für die Menschlichkeit in bewaffneten Konflikten verstorben sind. Das ist leider eine traurige Rekordzahl von fast 300. Unvergessen seien aber auch alle jene MitarbeiterInnen und Mitarbeiter des ÖRK, die uns im letzten Jahr verlassen haben. Stellvertretend darf ich Dr. Walter Aichinger, den Präsidenten des Oberösterreichischen Roten Kreuzes, in großer Dankbarkeit erwähnen.
TRAUERMINUTE
Vielen Dank! Meine sehr geehrten Damen und Herren, in so einer schweren Zeit gilt es, zusammenzustehen, das Gemeinsame zu suchen. Unmittelbar nach dem Amoklauf in Graz habe ich viele hunderte, vor allem jugendliche Menschen, vor dem Jufa-Hotel in Graz gesehen, die zu unseren Blutspende-Aktionen gekommen sind und sich dort teils stundenlang angestellt haben, um für ihr Blut zu spenden. Das ist ein sichtbares Zeichen der Solidarität und des Trostes, wofür ich mich bei allen Spenderinnen und Spendern sehr herzlich bedanke. Ein großer Dank gilt aber auch jenen Mitarbeiter:innen des Grazer Roten Kreuzes, die nicht bei Dienstschluss um 19 Uhr aufhörten, sondern spontan bis 3 Uhr früh tätig waren.
Eine schreckliche Bluttat wie diese führt vor Augen, wie wichtig die Versorgung mit Blutkonserven ist. Am heutigen Weltblutspendetag erinnern wir daran, dass Blut ein Notfallmedikament ist, das nicht künstlich hergestellt werden kann und nur begrenzt lagerbar ist. Die regelmäßige Blutspende ist nicht nur bei Ausnahmezuständigen wichtig, sondern kontinuierlich, um Engpässe zu vermeiden. Denken Sie daran, dass alle 90 Sekunden in Österreich eine Blutkonserve benötigt wird. Gerade jetzt vor Beginn der großen Ferien ist es wichtig, möglichst viele Menschen zur Blutspende zu animieren. Und darum bitte ich Sie.
Doch lassen Sie mich vom Blut zum Geld kommen – Für mich als Wirtschaftshistoriker ist dieser Vergleich gar nicht so hinkend, denn der große physiokratische Ökonom Francois Quesnay meinte in seinem Tableau économique, dass das Geld für den wirtschaftlichen Organismus eine vergleichbare Funktion habe, wie das Blut im menschlichen Körper. Wo Blut hinkommt, gibt es Leben, wo nicht, da müssen Organe absterben.
Und Graf Raimund von Montecuccoli, der glorreiche Feldherr der Schlacht von Mogersdorf 1664, die Österreich vor dem Untergang bewahrte, formulierte: Zum Kriegsführen braucht man dreierlei Dinge: Geld, Geld und wieder Geld! Doch dieser Satz hat auch für alle zivilen Aktivitäten Geltung.
Es ist offenkundig: Unsere Republik hat lange über ihre Verhältnisse gelebt. Nun regierrt der Spardruck. Überall müssen aufgrund der Budgetsituation Kosten reduziert und alle Ausgaben auf ihre Notwendigkeit hinterfragt werden. Und Einigkeit besteht darüber: Sparen ja, aber bitte bei den anderen.
Auch das Österreichische Rote Kreuz ist von den Sparmaßnahmen betroffen. Es werden Förderungen für Projekte reduziert oder gestrichen, auch wir müssen genau achten, wie wir unsere Mittel investieren. Aber: Trotz aller Sparmaßnahmen haben wir als Rotes Kreuz wichtige Aufgaben zum Wohle der Gesellschaft wahrzunehmen.
Einerseits sind wir als Einsatzorganisation an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr gefordert, Menschen in Not zu helfen. Dieser Aufgabe erfüllen wir mit Freude und Tatkraft Die Menschen in Österreich können sich darauf verlassen: Wer Hilfe benötigt, erhält „Wir sind da“ zur Antwort. Und mit Recht genießen wir die höchsten Vertrauenswerte.
Andererseits sind wir für die Menschen nicht nur da, wenn der Notfall schon eingetreten ist. Wir sind auch Fürsprecher für Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben.
Die Armut in unserem so reichen Österreich ist auf hohem Niveau. Laut der aktuellen EU-SILC-Studie sind hierzulande 1,53 Millionen Menschen (17 % der Bevölkerung) armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, 336.000 Menschen leben in absoluter Armut (3,7 % der Bevölkerung). Gleichzeitig gibt es weltweit mehr reiche Menschen als je zuvor, wie aus dem aktuellen „World Wealth Report“ hervorgeht. 23,4 Millionen Menschen weltweit verfügen über ein anlagefähiges Vermögen von mehr als einer Million Dollar. In Österreich sind es 162.300 Millionäre, ihr Vermögen liegt bei insgesamt 461 Milliarden Dollar.
Unsere Botschaft ist klar – das habe ich auch bei einem Treffen mit Finanzminister Markus Marterbauer kommuniziert: Wenn gespart werden muss, dann darf das nicht auf Kosten der Armen passieren. Der Sparstift darf nicht bei der Daseinsvorsorge angesetzt werden. Wir sollten mit Hirn und nicht am Hirn sparen!
Wenn sinnvoll gespart werden soll, dann muss auch an Reformen gedacht werden, um Ressourcen zu sparen und gleichzeitig die Schlagkraft zu erhöhen. Deswegen rege ich an, den Föderalismus in Österreich neu zu denken. Immerhin leben wir in einem Neun-Millionen-Einwohner-Land, in dem die Menschen am Neusiedlersee andere Leistungen erhalten als am Bodensee. Neun Länder bedeuten neun verschiedene Arten der sozialen Unterstützung. Wer hier an den richtigen Schrauben dreht, kann sicher einiges bewirken.
Darf ich hier noch deutlicher werden: Was wir in die Sozialversicherungen einzubezahlen haben, ist einheitlich geregelt. Was aber den Versicherten geboten wird, ist pro Bundesland sehr unterschiedlich.
2020 wurde es als epochale Leitung gefeiert, dass 21 Sozialversicherungsträger auf fünf Sozialversicherungsträger fusioniert wurden. Die ehemals neun Gebietskrankenkassen sind zu einer Österreichischen Gesundheitskasse zusammengelegt worden. Und man erhoffte sich gigantische Einsparungen. Es war die Rede von einer Patientenmilliarde. Das erinnert heute an den berühmten Witz von der Anfrage an Radio Eriwan, ob gestern tatschlich am Roten Platz in Moskau 1.000 Autos verschenkt worden sind …
Das Auswechseln von Türschildern und Überschriften ist noch zu wenig. Man müsste die PS tatsächlich auf die Straße bringen. Wozu 9 unterschiedliche und sehr komplizierte Abrechnungssysteme? Warum 9 verschiedene Krankentransporttarife? Etc. – Vielleicht könnte man da Synergieeffekte nutzen.
Aber auch auf Länderebene könnte man reformieren: Warum hält man an den historisch gewachsenen 9 verschiedenen Systemen von Rettungs-Euros etc fest, und führt notwendige Anpassungen mit sehr unterschiedlichen Reaktionszeiten durch? Warum gibt es nicht ein einheitliches transparentes System? Österreich ist klein genug, man sollte Auswüchse des übertriebenen Föderalismus hinterfragen.
Meine Damen und Herren, gerade in schwierigen Zeiten ist das Rote Kreuz ein verlässlicher Anker der Sicherheit. Und für die Menschen bester Beweis: Es gibt Institutionen, auf die man sich verlassen kann.
Wir sind da, an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr. Das ist nur möglich dank des Einsatzes aller Menschen, die sich für das Rote Kreuz engagieren.
Ich bin stolz und glücklich, einen Rekord vermelden zu können: Mit rund 80.000 Freiwilligen (genauer: 79.713) ist die Zahl der ehrenamtlich Tätigen im Roten Kreuz so hoch wie nie. Es ist ein Rekord der Menschlichkeit und zeigt, wie sehr es vielen Menschen in Österreich ein Anliegen ist, sich für ihre Mitmenschen zu engagieren. Sie leisten unglaubliche 10 Millionen Stunden (genauer: 9.988.400) aus Liebe zum Menschen – dafür kann man sich nur bedanken.
Dazu kommen 4.337 Zivildiener und 1.184 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Freiwilligen Sozialen Jahres, sowie 10.719 hauptberufliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch sie vollbringen jeden Tag Höchstleistungen:
- 3,41 Millionen Einsatzfahrten, bei denen 70 Millionen Kilometer zurückgelegt wurden (genau: 69,49 Mio. KM). Das ist 180 Mal die Entfernung von der Erde zum Mond, oder ein Drittel der Entfernung von der Erde zum Mars.
- 3,25 Millionen betreute Patientinnen und Patienten im Rettungsdienst
- 331.312 abgenommene Vollblutspenden, mit denen wir die Versorgung der Spitäler gewährleisten. Das sind 154.000 Liter Blut oder die gesamte Körperblutmenge von bis zu 30.000 Menschen. Am heutigen Weltblutspendetag sei daran erinnert, dass in Österreich rund 1.000 Blutkonserven am Tag benötigt werden. Daher der Appel: Gehen Sie Blut spenden! Sie retten damit Leben!
- 67.199 betreute Personen der Gesundheits- und Sozialen Dienste
Dazu kommen alle Angebote im Jugendrotkreuz, im Suchdienst und in der Internationalen Zusammenarbeit. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein herzliches Danke!
Dank gebührt natürlich auch unseren Unterstützenden Mitgliedern und Spender:innen. 1,15 Millionen Menschen in Österreich unterstützen das Rote Kreuz auf diese Weise. Im Vergleich der letzten zehn Jahre ist das eine Steigerung von fast 25 Prozent (genau: 23,41 Prozent).
Das Österreichische Rote Kreuz setzt auch internationale Maßstäbe. Die sieben Grundsätze des Roten Kreuzes – Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität – wurden 1965 in Wien beschlossen und gelten seither weltweit als Maßstab für alle 191 Rotkreuz-Gesellschaften.
Mit den andauernden Kampfhandlungen im Nahen Osten und der Ukraine haben wir zwei blutige Konflikte praktisch vor unserer Haustüre. Millionen Menschen kämpfen dort und in anderen Konfliktregionen täglich ums Überleben. Ich erinnere an Artikel 1 der Genfer Abkommen, wonach ALLE Konfliktparteien zur Einhaltung des Humanitären Völkerrechts verpflichtet sind.
Jeden Tag aufs Neue sehen wir, wie dieses Recht vorsätzlich gebrochen wird und bewaffnete Konflikte weiter eskalieren – wie aktuell zwischen Israel und dem Iran. Auch hier weißen wir eindringlich darauf hin: Auch für Kriege gibt es Regeln! Die Zivilbevölkerung ist zu schonen, unnötiges Leid zu vermeiden! Wir appellieren an alle Konfliktparteien, ihre Auseinandersetzungen nicht militärisch, sondern am Verhandlungstisch zu lösen.
Meine Damen und Herren, als Österreichisches Rotes Kreuz bekennen wir uns nicht nur zum Humanitären Völkerrecht, sondern trotz aller Einsparungen auch weiter zur Entwicklungs-zusammenarbeit und humanitären Hilfe. 2024 sind 52 Millionen Euro in unsere internationale Hilfe geflossen. Aber leider wissen wir, dass die humanitären Tragödien rund um den Globus nicht in ein paar Monaten erledigt sein werden.
Mein Appell lautet daher: Sorgen wir für die Sicherheit und Würde aller Menschen – nicht nur in Österreich, sondern auch in Konfliktregionen. „Zivilisation bedeutet, sich gegenseitig zu helfen“, sagte schon Henry Dunant, der Gründer der Rotkreuz-Bewegung.
Vergessen wir nicht auf die Hilfsbereitschaft, dann können wir auch in schwierigen Zeiten mit Mut und Zuversicht in die Zukunft blicken.
Und lassen Sie mich an dieser Stelle allen danken, die zum Gelingen unserer Aufgabe mit Einsatzfreunde und positiver Energie beitragen, ob ehrenamtlich oder hauptberuflich.
Wir sind inzwischen weit mehr als eine reine Baulichtorganisation, die entscheidend zum Sicherheitsgefühl in unserer Gesellschaft beiträgt. Wir haben auch viele Aufgaben für jene übernommen, die am Rande unserer Gesellschaft leben, wo es mitunter hart und ungemütlich wird. Wir alle tragen gemeinsam zur Lebensqualität und dem positiven Lebensgefühl in unserem Land bei.
Deshalb erfüllt es mich mit großer Freude, einer von den vielen Rot-Kreuzlern in unserem Land sein zu dürfen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!