Zwischen Luftalarm und Alltagsleben arbeitete Georg Tertsch, 28, im Auftrag des Österreichischen Roten Kreuz ein Jahr gemeinsam mit dem Ukrainischen Roten Kreuz an einem Wiederaufbau der präklinischen Versorgung in der Ukraine. Nach seinem Einsatzende berichtet der Notfallsanitäter aus Purkersdorf von seinen Erlebnissen.
„Im März 2024 kam ich in Kyiv an, mit einer Mischung aus Aufregung und Unsicherheit. Die ersten Tage waren geprägt von neuen Eindrücken, Orientierung und dem Versuch, mich in einer Stadt zurechtzufinden, die trotz des Ukrainekonfliktes erstaunlich lebendig war. Mein Auftrag für das Österreichische Rote Kreuz: den Aufbau eines Rettungs- und Krankentransportdienstes unterstützen und Strukturen schaffen, die Menschen in Not helfen können“, erzählt Georg Tertsch.
Ein zentraler Unterschied zum Österreichischen Roten Kreuz war, dass das Ukrainische Rote Kreuz vor dem Ukrainekonflikt keinen Rettungs- oder Krankentransportdienst betrieb. Dieses System war bislang staatlich organisiert gewesen. Während das Rote Kreuz in Österreich eine zentrale Rolle im Gesundheitswesen spielt, Rettungs- und Notfallversorgung sicherstellt, konzentrierte sich das Ukrainische Rote Kreuz vor allem auf soziale Unterstützung. Es sammelte Spenden für Hilfsbedürftige, bot Hauskrankenpflege an und leistete soziale Betreuung. Mit dem Ukrainekonflikt änderte sich das schlagartig. In Zusammenarbeit mit internationalen Partnern übernahm das Ukrainische Rote Kreuz viele neue Aufgaben, darunter auch verschiedene Arten von Transporten, wie auch Kranken- und Evakuierungstransporte. Die Organisation wuchs in den vergangenen drei Jahren enorm. Strukturen, die über Jahrzehnte in anderen Rotkreuzgesellschaften langsam gewachsen waren, entstanden hier innerhalb kürzester Zeit. Georg Tertsch war als Experte des Österreichischen Roten Kreuzes vor Ort, um mit den jahrzehntelangen Erfahrungen aus Österreich und seinen persönlichen Erfahrungen als Notfallsanitäter diesen Prozess zu unterstützen.
Erste Eindrücke: Zwischen Normalität und Unsicherheit
Die Stadt lebte weiter. Cafés waren gut besucht, Menschen gingen ihrer Arbeit nach – bis die Sirenen losgingen. „Der erste Luftalarm erwischte mich mitten in der Nacht. Wie ich es mir schon hundertmal zuvor überlegt hatte, nahm ich meine Sachen und ging in den Schutzraum des Hotels im Keller“, schildert Tertsch. „Ich richtete mich provisorisch ein – erst im Hotel, später in einer Wohnung im Zentrum. Fünf Minuten Fußweg ins Büro. Mein Alltag pendelte sich zwischen Routinen und unerwarteten Ereignissen ein.“
Der Job: Rettungsdienst unter schwierigen Bedingungen
Der Arbeitsalltag von Georg Tertsch bestand aus Meetings, Abstimmungen und praktischen Planungen. Ein Projekt dieser Größe lief selten reibungslos, Strukturen änderten sich, gesetzliche Vorgaben mussten geprüft werden. Dennoch kam das Projekt Schritt für Schritt voran: Das Team rund um Tertsch organisierte Schulungen, importierte Rettungsfahrzeuge und bereitete den ersten Krankentransportdienst vor. Um ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, wie Systeme bisher genutzt wurden und was tatsächlich benötigt wurde, unternahm er mehrere Field Trips in ländliche Regionen, um abschätzen zu können, wie der Service in Zukunft aussehen könnte.
„Ein zentraler Teil meiner Arbeit waren die Schulungen, die ich in mehreren Regionen durchführte. Zusammen mit einer unserer Übersetzer:innen bildete ich Mitarbeitende des Ukrainischen Roten Kreuzes in Chernihiv im Norden, Chernivtsi im Süden und Lviv im Westen des Landes aus. Die Trainings umfassten unter anderem den Umgang mit medizinischer Ausrüstung, den sicheren Transport von Patient:innen sowie den Einsatz der neuen Krankentransportfahrzeuge. Besonders beeindruckend war die Motivation der Teilnehmenden, die mit großem Engagement lernten und sich auf ihre neue Rolle vorbereiteten“, erzählt Tertsch stolz.
Mittlerweile ist der Service bereits gestartet: In den ersten Regionen führte das Ukrainische Rote Kreuz nun Krankentransporte durch und ermöglichte Menschen, die nicht mobil waren, den Zugang zu medizinischer Versorgung. Die ersten Fahrten verliefen erfolgreich, und es zeigte sich, wie wichtig diese neue Dienstleistung für viele Menschen war. In einigen Fällen wurden Patient:innen transportiert, die sonst kaum eine Chance gehabt hätten, medizinische Hilfe zu erhalten.
Luftalarm, Stromausfälle und alltägliche Herausforderungen
„Mit der Zeit gewöhnte ich mich an Luftalarme, Stromausfälle und improvisierte Lösungen. Manchmal saßen wir in Cafés, bis plötzlich ein Alarm ertönte und wir in Schutzräume gehen mussten. Der Alltag war von solchen Unterbrechungen geprägt. Besonders belastend war, dass die meisten Luftalarme in der Nacht stattfanden – in den letzten Wintermonaten gab es eigentlich keine Nacht ohne Alarm“, erinnert sich der engagierte Rotkreuz-Mitarbeiter an die vergangenen Monate und berichtet weiter: „Nicht jeder Alarm bedeutete, dass es tatsächlich Explosionen gab, aber fast immer flog eine Rakete oder, häufiger, eine Drohne in Richtung Kyiv und wurde abgewehrt – oft mit einem lauten Knall. Besonders gefährlich waren dabei die Trümmer, die vom Himmel fielen.“
Abschied und Reflexion
Nach fast einem Jahr endete der Einsatz von Georg Tertsch. Das Projekt war inzwischen auf einem guten Weg. Tertsch blickt zurück und fasst abschließend zusammen: „Die Ukraine prägte mich – durch die Menschen, ihre Widerstandskraft und ihren Alltag zwischen Hoffnung und Unsicherheit. Besonders stolz war ich darauf, dass wir den Krankentransportdienst auf den Weg gebracht hatten und dieser nun in mehreren Regionen lief. Jetzt werde ich erst einmal einen längeren Urlaub mit meiner Freundin machen. Ich hoffte, dass ich irgendwann in die Ukraine zurückkehren könnte, um zu sehen, wie sich das Projekt weiterentwickelt hatte.“