Als Pionier:innen der psychosozialen Versorgung haben Karin Unterluggauer und Ingo Vogl diese Bereiche im Roten Kreuz Salzburg aufgebaut und im Einsatzalltag der Einsatzorganisationen im Bundesland verankert. Am 10. Mai 2025 übergaben sie im Rahmen eines Festakts an der Fachhochschule Puch die Leitung dieser Bereiche an ihre Nachfolger:innen und blickten gemeinsam mit langjährigen Weggefährt:innen auf 25 Jahre engagierte Aufbauarbeit zurück.
Bei vielen Menschen in Österreich haben die Katastrophen von Galtür im Februar 1999 und Kaprun im November 2000 bleibende Erinnerungen hinterlassen. Einsatzkräfte waren dort jeweils viele Tage unter großen physischen und psychischen Belastungen im Einsatz, um zu helfen. Beide Ereignisse machten sehr deutlich, dass die dort tätigen Einsatzkräfte wie auch die betroffenen Menschen eine psychische Nachbetreuung benötigten, um das Erlebte gut verarbeiten zu können. Aus diesem Bedarf heraus wurden die Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen (SvE) und die Krisenintervention (KI) im Österreichischen Roten Kreuz mit viel Engagement und Expertise aufgebaut und haben sich heute zu einem unverzichtbaren Teil der professionellen Hilfe der Organisation entwickelt.
SvE und Krisenintervention in Salzburg
In den Jahren 1999 und 2000 nahm Ingo Vogl, Sozialarbeiter und Rettungssanitäter aus Salzburg, an einem Kurs zum Thema „Stressverarbeitung und Krisenintervention“ beim Österreichischen Roten Kreuz in Wien teil. Zeitgleich absolvierte er gemeinsam mit Karin Unterluggauer, einer klinischen Psychologin, in Innsbruck eine Ausbildung in Krisenintervention und Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen (SvE), geleitet von Barbara Juen, Professorin für Psychologie und heutige fachliche Leiterin der psychosozialen Dienste des Roten Kreuzes sowie leitende Psychologin im Österreichischen Roten Kreuz.
Nicht zuletzt mit der Erfahrung des Einsatzes in Kaprun, erfolgte ab dem Jahr 2000 der Aufbau der SvE im Salzburger Roten Kreuz. Gab es anfangs intern noch kritische Stimmen, wurde schon bald klar, dass psychosoziale Erste Hilfe sehr positiv wirkt und so immer weiter im Rettungsdienst und später in anderen Bereichen des Roten Kreuzes verankert wurde.
Ab 2007 erfolgte mit dem Start des Kriseninterventions-Teams in Salzburg der nächste Schritt. Gemeinsam bauten Vogl und Unterluggauer in den kommenden Jahren ein breit aufgestelltes und laufend wachsendes Team an Mitarbeiter:innen sowohl für die SvE als auch die Krisenintervention in Salzburg auf.
Im Mai 2025 übergeben die beiden nunmehr ein Team mit insgesamt 228 Mitarbeiter:innen – 120 in der SvE und 108 in der Krisenintervention – an ihre Nachfolger:innen Carina Stabauer, Martina Mösl und Harald Wolfesberger.
Im Rahmen des Festaktes wurden Karin Unterluggauer und Ingo Vogl mit dem Verdienstkreuz des Österreichischen Roten Kreuzes, Landesverbandes Salzburg ausgezeichnet.
Da sein, wenn Worte fehlen
Im Rahmen seiner Laudatio würdigte Rotkreuz-Präsident Dr. Werner Aufmesser die Arbeit von Vogl und Unterluggauer, aber auch ihrer Teams. „Sie stehen in direktem Kontakt mit Menschen, die gerade aus dem Gleichgewicht geraten sind. Sie sind für andere da, wenn Worte fehlen. Sie geben Schutz und Stabilität, wo es scheinbar keine mehr gibt“, so Aufmesser und betont: „Vor allem aber leisten sie professionelle Begleitung, wenn Menschen und Einsatzkräfte an die Grenzen ihres Erlebens stoßen.“
Andrea Eder-Gitschthaler, die Präsidentin der Österreichischen Bundesrates, betonte: „Krisenintervention ist generell wichtig, um Menschen, die in akuten, lebensbedrohlichen oder traumatischen Situationen sind, schnell und effektiv zu unterstützen. Ich bin sehr froh, dass wir in Salzburg die professionelle Krisenintervention vom Roten Kreuz seit nunmehr 25 Jahren haben. Dadurch konnte schon vielen Menschen in schwierigen Situationen geholfen werden“, und ergänzt: „Vielen Dank an alle, die Aufbauarbeit geleistet, mitgearbeitet haben und weiter mitarbeiten. Sie alle leisten einen wertvollen und unverzichtbaren Dienst für unsere Gesellschaft.“
Barbara Juen, die fachliche Leiterin der psychosozialen Dienste des Österreichischen Roten Kreuzes, ging in Ihrer Rede auf die österreichweite Entwicklung ein und strich die Besonderheit des Roten Kreuzes Salzburg hervor: „Ingo Vogl und Karin Unterluggauer waren mit dabei als 1999 die ersten Schritte in Richtung einer gesamtösterreichischen Krisenintervention beim Österreichischen Roten Kreuz gesetzt wurden. Sie haben im Roten Kreuz Salzburg ein fachlich hochwertiges und gut etabliertes Kriseninterventionssystem aufgebaut“, und fügt hinzu: „Psychosoziale Unterstützung nach außergewöhnlichen Notfällen ist mittlerweile ein selbstverständlicher Bestandteil der Notfallversorgung von Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen.“
Emotionen verarbeiten und Belastungen erkennen: Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen
Im Rahmen der SvE übernehmen speziell geschulte „Peers“, d.h. Kolleg:innen aus dem gleichen Berufsfeld, eine zentrale Rolle. Aufgrund fachspezifischer Erfahrungen mit belastenden oder traumatischen Einsätzen sowie ihrer Ausbildung zu Peers können sie die Situation der Betroffenen besonders gut einschätzen, frühzeitig Belastungen erkennen und Entlastung bieten. In Peer-Gesprächen wird Betroffenen geholfen, ihre Emotionen als normal und Teil des Verarbeitungsprozesses „verstehen“ zu können und erste Maßnahmen zur Entlastung – sowohl individuell als auch im Team – zu setzen.
Peers sind aus den eigenen Reihen, schnell und unkompliziert ansprech- und erreichbar. Dadurch stellen sie ein niederschwelliges Unterstützungsangebot dar und erleichtern es den Kolleg:innen, über Probleme zu sprechen. Bei Bedarf unterstützen sie zudem bei der Kontaktaufnahme zu professionellen Hilfsangeboten. So tragen sie wesentlich dazu bei, dass Einsatzkräfte mit ihren Belastungen nicht allein bleiben und wirksam unterstützt werden.
Weiß man als Betroffene:r, dass im Team offen über Belastungen gesprochen werden darf und es Unterstützung gibt, stärkt dies die Kameradschaft und Einsatzfähigkeit der gesamten Einheit. „Hier hat sich in den letzten 25 Jahren ein ‚Kulturwechsel‘ vollzogen: Es ist mittlerweile selbstverständlich, dass das Sprechen über Belastungen keinesfalls ein Zeichen persönlicher Schwäche, sondern ganz im Gegenteil ein Zeichen von Professionalität darstellt“, so Vogl.
Psychosoziale Erste Hilfe für Angehörige und Betroffene: Krisenintervention
Bei schweren Unfällen oder medizinischen Notfällen steht der bzw. die Notfallpatient:in im Mittelpunkt – Angehörige, Freund:innen oder Kolleg:innen bleiben jedoch oft schockiert und überfordert zurück. Hier setzt die Krisenintervention an: Psychosozial geschulte Fachkräfte stehen dem Umfeld direkt nach dem Ereignis zur Seite, begleiten, informieren und hören zu. Ziel ist es psychischen Belastungen frühzeitig entgegenzuwirken und die Betroffenen in einer emotionalen Ausnahmesituation zu stabilisieren. Die Krisenintervention ist keine Therapie, sondern eine unmittelbare Hilfe, die den Übergang zu weiterführender, professioneller psychosozialer Betreuung erleichtert.
Im Zentrum der Arbeit stehen vier Schwerpunkte: die Unterstützung bei der Bewältigung des Erlebten, die Hilfe bei der Wiedererlangung der Handlungsfähigkeit, die Stabilisierung und Mobilisierung persönlicher Ressourcen sowie die Aktivierung des sozialen Umfelds.
Angesichts der Zunahme akuter Notfälle mit seelischer Belastung bzw. der häufigeren Inanspruchnahme des Unterstützungsangebots – bei plötzlichen Todesfällen, Suiziden, Gewaltverbrechen oder Naturkatastrophen – gewinnt die psychosoziale Gesundheit zunehmend an Bedeutung. Das KI-Team übernimmt dabei (auch) sensible Aufgaben wie die Betreuung von Angehörigen oder das Überbringen von Todesnachrichten. So werden Rettungsdienst, Polizei und Feuerwehr entlastet und können sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren.
Zudem leistet die Krisenintervention einen wichtigen Beitrag zur Prävention: Frühzeitige psychosoziale Unterstützung kann langfristige gesundheitliche Schäden verhindern und Folgekosten im Gesundheits- und Sozialsystem reduzieren.
Für Karin Unterluggauer ist daher klar: „Der Ausbau der Krisenintervention ist keine Kür, sondern eine notwendige Investition in menschliche Würde und psychische Gesundheit.“
FAKTEN
Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen (SVE)
seit 2000:
- rund 1.100 Einzelgespräche
- 70 Gruppenmaßnahmen
- über 3.000 telefonische Betreuungen
- 120 Mitarbeiter:innen
- Beratung in den Bereichen: Rettungs- und Krankentransportdienst, Pflege, Migration, Krisenintervention
Krisenintervention
seit 2007:
- 4.790 Einsätze
- 31.418 betreute Personen
- 108 Mitarbeiter:innen im gesamten Bundesland Salzburg
Besondere Einsätze
- 2000: Kaprun
- 2004: SvE für österreichische KI-Teams nach dem Tsunami im Indischen Ozean
- 2005: SvE-Einsatz in den USA nach Hurricane Katrina
- Corona-Pandemie
- SvE-Betreuung der Mitarbeiter:innen im Rettungs- und Krankentransportdienst während der Quarantäne
- Online-Krisenintervention
Fotos: (c) wildbild/Rotes Kreuz Salzburg
Foto 1: Karin Unterluggauer und Ingo Vogl blicken auf 25 Jahre KI-Team und SVE-Betreuung zurück.
Foto 2: Barbara Juen geht in ihrer Rede auf die Entstehungsgeschichte ein.
Foto 3: Präsident Dr. Aufmesser würdigt die Verdienste von Unterluggauer und Vogl
Foto 4: Karin Unterluggauer und Ingo Vogl wurden mit dem Verdienstkreuz des ÖRK, Landesverbandes Salzburg ausgezeichnet.
v.l.: Dr. Werner Aufmesser (Präsident), Dr. Barbara Juen (Fachliche Leitung, ÖRK), Karin Unterluggauer (KI-Leitung), Ingo Vogl (Stv. KI-Leitung), Dr. Andrea Eder-Gitschthaler (Präsidentin des Bundesrates), Stefan Herbst (Landesrettungskommandant)
Foto 5: Dr. Andrea Eder-Gitschthaler bedankt sich für das ehrenamtliche Engagement.
Foto 6: Das neue Leitungsteam wird bestellt.
v.l.: Dr. Werner Aufmesser (Präsident), Dr. Barbara Juen (Fachliche Leitung, ÖRK), Martina Mösl (Stv.-Leitung), Carina Stabauer (Leitung), Harald Wolfesberger (Stv.-Leitung), Dr. Andrea Eder-Gitschthaler (Präsidentin des Bundesrates), Stefan Herbst (Landesrettungskommandant)
Foto 7: Zahlreiche Ehrengäste und Weggefährt:innen wohnten dem Festakt bei.
Salzburg, am 12. Mai 2025